Montag, 20. April 2015
Es kommt mir so vor, als ob hier die Zeit doppelt so schnell vergeht als normalerweise. Bald bin ich schon 4 Monate hier und wünschte, ich hätte noch die gleiche Zeit vor mir.
Gestern haben mich zwei ganz liebe Kinder eingeladen, mit ihnen an den Strand zu gehen. Herson und Xiany sind Geschwister und das komplette Gegenteil von Paola und Samuel. Sie können sich stundenlang selbst beschäftigen und quengeln nie rum. Xiany ist sechs Jahre alt und kommt nächstes Jahr in die Schule. Herson ist drei Jahre jünger und kam eines Tages mit seinen Miniflossen dahermarschiert und hat gefragt, wann wir denn endlich mal Tauchen gehen. Ich war den letzten Monat fast gar nicht am Strand, deswegen war es echt ein schöner Ausgleich.
Ein Moment am Strand hat mich sehr an meine Situation in Costa Rica erinnert. Ich sah die Kinder ins Meer laufen. Ihre kleinen Füßchen hinterließen Abdrücke im Sand bis eine große Welle kam und die Spuren wegspülte. So ist es ja auch mit mir. Ich kann hier leider nicht ewig bleiben. Nichts desto trotz hoffe ich, dass ein paar Spuren, die ich hinterlasse, auch bleiben und sich meine Gastfamilie immer an mich erinnern wird.
Ich habe mich gerade für einen Moment in mein Zimmer zurückgezogen, weil mich Samuel und Paola die letzten zwei Wochen in den Wahnsinn getrieben haben. Ich habe eigentlich noch nie wirklich über die richtige Familienkonstellation erzählt, oder? Paola ist nämlich adoptiert. Ihre leibliche Mutter ist Grey, die mit 17 das erste Mal schwanger wurde. Da Lidieth eigentlich keine Kinder bekommen konnte und sie Grey unterstützen wollte, hat sie Paola adoptiert. Nach einem Jahr hat sich ihr Gebärmutterkrebs verändert und sie ist glücklicherweise doch noch mit Samuel schwanger geworden, was für sie und Francisco ein wahnsinnig großes Geschenk ist.
Nach 3 Jahren hat Grey dann noch Jimena und schließlich Calep zur Welt gebracht. Das sind die Nachbarskinder, die jeden Tag zum frühstücken zu uns kommen und meiner Meinung nach erklärt das sehr vieles an Paolas auffälligem Verhalten. Zwei Mütter zu haben ist denke ich ziemlich verwirrend. In ihrem Kopf schwirren bestimmt viele Fragen, wieso Grey sie weggegeben hat, aber trotzdem noch zwei Kinder bei sich hat. Paola will alles und jeden kontrollieren, nervt ständig, sodass selbst meine Geduld nicht mehr ausreicht und macht ständig irgendwelche Aufstände, sodass die komplette Aufmerksamkeit auf sie gerichtet ist, was für Samuel widerum richtig schwierig ist. Ich kann verstehen, dass er langsam keine Geduld und kein Verständnis mehr für Paola hat. Langsam fängt auch er nicht mehr nach positiver, sondern nach negativer Aufmerksamkeit zu suchen.
Das heißt aber auf keinen Fall, dass es mir in der Familie nicht gut geht! Francisco ist wahnsinnig humorvoll und macht ständig Witze mit mir. Lidieth und ich sitzen in letzter Zeit öfters nach dem Frühstück zusammen und quatschen über Gott und die Welt. Beide wollen echt nur das Beste für mich, sodass ich sie schon als zweite Eltern sehe.

Xiany



Herson




Letztes Wochenende wurde in Costa Rica der Sieg gegen Nicaragua im Krieg Santa Rosa gefeiert. Zu diesem Anlass machten wir uns um 2 Uhr in der Früh auf nach Alajuela - der Nachbarort von San José - , um tatkräftig die Percussiongruppe unseres kleinen Dörfchens zu unterstützen. Da die Trommel und die Lira - eine Art Xylophon - die zwei Nationalinstrumente des Landes sind, tummelten sich ca. 40 Percussiongruppen des gesamten Landes in der Stadt. Nach ungefähr 3 Stunden warten - wie es hier üblich ist - rafften es endlich alle, in welcher Reihenfolge sich die Gruppen für den Zug durch die Stadt aufstellen sollten und dann ging es endlich los. Nicht nur an das ewige Gewarte kann ich mich immer noch nicht gewöhnen, sondern auch an den ständigen Lärm, der für die Ticos anscheinend überhaupt nicht störend ist. 40 Trommelgruppen spielten ungefähr gleichzeitig direkt vor meiner Nase! Trotzdem beeindruckte es mich, dass jede Gruppe ihre eigene Choriographie mit eigen designten Uniformen vorstellte. Jede Gruppe ist im Prinzip gleich gegliedert. Am Anfang laufen ein paar Tänzerinnen, die im Takt der Trommeln mit ihren Hintern wackeln. Danach folgen die Mädchen, die die Lira spielen und zum Schluss kommen die Trommler. Je nachdem, wie viele Mitglieder die Gruppe hat und wie geübt sie sind, reihen sich auch noch Blechbläser auf.
Das Warten hatte aber auch seinen Vorteil. Nina - die Gastmutti von Maura - hatte Zeit, uns ein bisschen durch die Stadt zu führen und wir hörten der Rede des Präsidenten von Costa Rica zu, was natürlich recht interessant war.
Trotzdem war ich echt froh, als der Trubel endlich zu Ende war und wir Abendessen konnten. Wir wurden in das Haus von Brayans Onkel eingeladen, der ein wahnsinnig guter Koch ist! Zusammen mit seinem Partner wohnt er in einem echt abgespacten Haus. Das muss ich euch erzählen! Sowas habe ich noch nie gesehen! Die hatten im Eingangsbereich 14 Aquarien mit Süß- und Salzwasserfischen und einen Teich mit 60 Kois. Im Flur haben sie eine kleine Hütte für ihre 9 Hunde aufgestellt, die zwischen drei Vogelkäfigen wohnen. Außerdem hatten sie noch eine Katze und drei Schildkröten. Der reinste Tierwarenhandel! Ein bisschen verrückt sind die zwei schon, aber wahnsinnig nett. Sie halfen mir, das Päckchen abzuholen, das meine Mama mithilfe einer Bekannten nach Costa Rica geschickt hat. Außerdem zeigten sie uns noch eine Mall, wo wir uns ein paar Stunden aufgehalten haben.
Das Päckchen von Mama hat mich wahnsinnig gefreut! Sie hat mir ein paar Sachen zusammengepackt, die ich unbedingt gebraucht habe. Nach 3 Monaten freut man sich einfach, wenn man einen kleinen Gruß aus der Heimat bekommt. - Danke, Mama!
Nach diesem anstrengenden und ereignisreichen Wochenende habe ich mich erstmal ordentlich erkältet. In San José ist es immer deutlich kälter als im Rest des Landes. Außerdem bin ich schon so an die Hitze gewöhnt, dass ich bereits bei 25 Grad meinen Pulli raushole...

Der Präsident spricht...



Zwei "Chiquitillos" im traditionellem Outfit



Die Tänzerinnen





Dixon und Rudy



Die "Banda" von El Torito